Heinrich Ignaz Franz Biber:  Mysterien-Sonate «Auferstehung»
(aus den sogenannten Rosenkranz-Sonaten) in G-Dur für Violine und Basso continuo (um 1678, sicherlich zwischen 1670 und 1687 in Salzburg entstanden)

Kupferstich der Druckausgabe der Mysteriensonaten von Biber mit der Abbildung der Auferstehung

Heinrich Ignaz Franz Biber
getauft als Hennericus Pieber 12. August 1644 in Wartenbert, Böhmen
gestorben 3. Mai in Salzburg

Entstehungszeit:
um 1678, sicherlich in der Regierungszeit des Salzburger Erzbischof Max Gadolf von Kuenburg zwischen 1668 und 1687

Aufnahmen:
Zahlreiche Aufnahmen von vielen bedeutenden Barockviolinistinnen und -violonisten

Diese Sonate gehört zu einem Zyklus von 15 Sonaten zu den 15 Geheimnissen des traditionellen Rosenkranz-Gebets. Eine Passacaglia schliesst als 16. Sonate diesen Zyklus ab. Biber hat den Sonatenzyklus dem Salzburger Erzbischof Max Gandolf von Kuenburg (Regierungszeit: 1668-1687) gewidmet. Hier widmen wir uns der 11. Sonate des Zyklus. Dieser Mysteriumssonate ist in der Druckausgabe ein Kupferstich mit einer traditionellen Abbildung der Auferstehung vorangestellt.

Mit dieser barocken Darstellung der Auferstehung kann man sich heute nicht mehr zufriedengeben, will man der religiösen Sprengkraft der christlich bezeugten Wirklichkeit der Auferstehung Jesu theologisch gerecht werden. Das wird auch Folgen für die musikalische Interpretation dieser Auferstehungs-Sonate haben.

Wie immer die ersten Jüngerinnen und Jünger den Schock der Ermordung Jesu durch die Kreuzigung psychisch verarbeitet hatten, alle bezeugen, dass sich ihnen eine neue Wirklichkeit gezeigt hatte (Paulus nennt es in 1 Kor 15 griechisch ophté = es ist gesehen worden, oft auch etwas wunderhaft mit «es erschien» übersetzt). Die Auferstehungszeuginnen und -zeugen entdeckten Jesus als lebendige Präsenz, allerdings in die Dimension Gottes hinein (in biblischer Sprache: «zur Rechten Gottes») auferweckt. Der Tod Jesu und das Scheitern seiner Botschaft vom Reich Gottes war nicht das Ende, die Wirklichkeit Gottes und das Leben überhaupt waren grösser, als sie sich das bisher vorgestellt hatten.  

Auch Musik kann dazu dienen, sich die Wirklichkeit grösser vorzustellen als gewohnt. Religion lebt grundsätzlich davon, dass wir unsere Vorstellungen und Bilder der Transzendenz  (Gott, Himmel, heiliger Geist, Leben nach dem Tode usw.) immer noch grösser und dynamischer vorzustellen haben, als nur schon das uns bekannte Universum es uns abverlangt.

Ungewohnt verlangt Biber für seine Auferstehungs-Sonate eine Neustimmung der leeren Geigensaiten (Scordatura genannt): statt g d’ a’ e jetzt g g’ d’ d’’, das heisst, die Saiten müssen hinter dem Steg und im Wirbelkasten gekreuzt werden. Die dritte Saite klingt demnach tiefer als die zweite. Doch die zwei Oktaven in Quintdistanz ergeben eine grossartige Klangresonanz, die symbolisch auf die Fülle des Lebens und die  Auferstehungswirklichkeit hinweisen. Auch die gekreuzten Saiten verweisen darauf, dass erlittenes Kreuz und Leid auch für die Auferstehungsrealität Bedeutung haben. Die Sonate hat drei Sätze, die sich je auf unterschiedliche Weise der erweiterten Wirklichkeitssicht «Auferstehung» nähern.

Hier zu hören!
Aufnahme mit Christina Day Martinson und Boston Baroque (8'22)
oder
Aufnahme mit Gunar Letzbor und Ars Antiqua Austria:
Satz 1: Sonata (3'35)
Satz 2: Surrexit Christus hodie (4'28)
Satz 3: Adagio (1'21)

Hörbegleiter:

Satz 1: Sonata

Über ruhigem tiefem G des Basso continuo erwacht die Geige mit einem morgendlichen Motiv, dessen Echo eine Quart tiefer nachklingt. Nochmals ruft die Geige zweimal in den dunklen G-Klangraum hinein, bevor sie sich improvisierend aufmacht, als ob sie sich nach langer Grabesruhe den Schlaf aus den Gliedern schüttelte. Alles klingt nach staunendem Erwachen. Ein kurzes aufweckendes Motiv wird dreimal entschieden auf drei Oktaven nacheinander wiederholt. Damit scheint die Geige neue Kräfte gefunden zu haben. Sie schreitet rhythmisch voran in den neuen Ostermorgen.

Jetzt wechselt auch der ständige Bassklang von G zu D aufwärts. Man glaubt, jetzt auch das Erwachen der Natur mitzuhören. Vogelrufe erzeugen innere Gemütsbewegungen und führen uns meditativ hinein in einen österlichen Gesang, in den innerlich einzustimmen uns diese Mysteriensonate im zweiten Satz einlädt.  

Satz 2: Surrexit Christus hodie

Der Kontinuobass singt die Melodie des alten Osterliedes «Surrexit Christus hodie» vor, meditativ kommt die Geige dazu und singt mit. Damit beginnt - wie in diesen Mysteriensonaten von Biber öfters - ein Variationensatz als Mitte des Geschehens.

Nachdem die erste Strophe im Zweigesang von Geige und Bass gemeinsam zu Ende gesungen wird, bewahrt der Bass die Ostermelodie, während die Geige unmerklich rhythmisch schneller wird. Sie umspielt die Melodie und fantasiert ihre Variationen immer schneller, als ob sie sich wie die Frauen und Jünger in den Ostererzählung der Bibel beeilen will, um mit bei den ersten beim leeren Grab zu sein.

Neugierig, was uns am Ende erwartet, sind wir - innerlich mitsingend – mitgenommen auf einen Lebensweg, der in einer weiteren Variation der Geige dichter und intensiver wird. Auf ihrer neuen Skoradatur erklingt das Osterlied schliesslich in verdoppelten Oktaven in der Geige. Bass und Geige wechseln sich hymnisch ab.

Satz 3: Adagio

Dann unterbricht ein besinnlicher Einhalt den Hymnus. In stockenden Doppelgriffklängen der Geige und mit einer schlicht schönen Melodie schreitet ein kurzes abschliessendes Adagio vor sich hin. Es bleibt ahnendes Staunen und hoffendes Nichtwissen darüber, was Auferstehung verheisst. Jedenfalls geht es um etwas, das wir uns immer noch grösser und schöner vorzustellen haben.

Hinweis für Musikinteressierte

 

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