Felix Mendelssohn-Bartholdy: Paulus, Ein Oratorium für Solisten, Chor und Orchester, op 36. Ausschnitt Nr. 11–15 (Auf dem Weg nach Damaskus) (1836)

Felix Mendelssohn-Bartholdy
geboren 3. Februar 1809 in Hamburg
gestorben 4. November 1847 in Leipzig
Uraufführung:
Pfingsten 1836 in Düsseldorf unter Mendelssohns Leitung
Aus der Handschrift 1836: Saul, warum verfolgst du mich?
In der Zeit um die 3oer Jahre des 19. Jhd. entstanden in Deutschland eine grosse Anzahl von Oratorien: Louis Spohr komponierte «Die letzten Dinge» (1826) und «Des Heilands letzte Stunden» (1835), Friedrich Schneider u.a. «Das Weltgericht» (1820), «Das befreite Jerusalem» (1835) und Carl Loewe «Die Zerstörung Jerusalems» (1829). Es war eine Zeit, wo viele Chorgemeinschaften entstanden und sich innerhalb einer restaurativen politischen Fürstenlandschaft eine bürgerliche Musikkultur entwickelte.
Felix Mendelssohn war der Sohn einer assimilierten jüdischen Familie. In einer Haustaufe wurde er zusammen mit seinen drei Geschwistern 1816 lutherisch getauft und von seinem Vater Abraham, der nach seinem Übertritt zum Protestantismus den Beinamen Bartholdy annahm, bewusst christlich erzogen. Früh entwickelte er und seine Schwester Fanny eine auffällige musikalische Begabung und beide schufen ihre ersten bedeutenden Kompositionen. Berühmt waren die Hauskonzerte am Sonntagmorgen im Berliner Speisesaal der Mendelssohns. Sein Lehrer Carl Zelter brachte Felix Mendelssohn früh mit den Werken Johann Sebastian Bachs in Berührung.
Beauftragt vom Berliner Cäcilien-Verein machte sich Felix Mendelssohn bereits im Alter von 23 Jahren daran, selbst ein Oratorium zu komponieren, das das Leben des Apostels Paulus zum Inhalt hatte. Mit Freunden, insbesondere mit dem Theologen Julius Schubring, diskutierte er Inhalt und Aufbau. Schliesslich drängte sein Vater Abraham Felix dazu, dieses Oratorium Paulus bald, noch vor seinem Tode, zu vollenden. Trotz Felix’s Bemühen, dem Willen seines Vaters zu genügen, reichte es nicht mehr. Sein Vater starb vorher.
Im Zentrum des schliesslich 1936 in Düsseldorf uraufgeführten Oratoriums stehen Szenen aus der Apostelgeschichte, die den Weg und die Bekehrung des Paulus vom gesetzestreuen Verfolger von Christengemeinden zum Völkerapostel darstellen. In Paulus sah Mendessohn auch seinen Weg vom Juden zum getauften Christen gespiegelt. Musikalisch spürt man Mendelssohn Interesse an Händel und Bach. Er versuchte den alten Stil und dessen musikalischen Elemente (Chöre, Choräle, Fugen, Rezitative, Arien) mit den frühromantischen und klassizistischen Tendenzen der Musik nach Mozart und Beethoven zu verbinden.
Die Auseinandersetzung mit dem Judentum erfolgt aus heutiger Sicht in diesem Oratorium ziemlich klischeehaft und vielleicht typisch für einen Konvertiten, wie die Arie des Paulus «Vertilge sie, Herr Zebaot» zeigt. Umso erstaunlicher ist dann die musikalisch-theologische Eigenständigkeit bei der Szene des Einbruchs der Transzendenz. Die Stimme des Auferstandenen wird von einem Frauenchor gesungen. Zuerst wollte Mendelssohn nur einen Sopran für Jesus singen lassen (eine Art feministische Theologie in spe, wo die Rolle Christi entgegen katholisch-amtlicher Einwände auch von Frauen übernommen werden!). Freunde schlugen Mendelssohn aus konventioneller Sicht eine Bass-Stimme für Christus den Auferstanden vor. Der Kompromiss war für Mendelssohn schliesslich ein Frauenchor, der auch für ein heutiges nachmythisches, aufgeklärtes theologisches Verständnis anregend ist. Man muss sich überhaupt den Bekehrungsprozess des Paulus als eine mehrjährige innere geistliche Wandlung vorstellen. Sogar die Apostelgeschichte spricht von drei Jahren und von einer Blindheit des Paulus. Die zunehmende Erkenntnis muss wie ein Schock gewirkt haben, dass gerade sein und seiner Zeitgenossen religiöser Gesetzeseifer für die Wahrheit blind machte und sogar zur Beseitigung und Ermordung der von Gott bestimmten Gerechten führte. Es sind immer wieder vermeintliche «Sachzwänge», die blind machen und wertvollstes Leben zerstören, so könnte man heute säkular formulieren und an Technik, Klimazerstörung und armutsblinden Wirtschaftsliberalismus denken. Das Kreuz bleibt ein Warnsignal. Die warnenden Stimmen müssen auch heute gehört werden. Denn Glauben und Leben kommen vom Hören.
Sowohl in Deutschland und in England trat das Oratorium gleich nach Erscheinen des Notendrucks einen Siegeszug durch Europa an. Es traf den Nerv der Zeit. Schon nach 18 Monaten registrierte man die 50. Aufführung. Schumann nannte den Paulus ein «Juwel der Gegenwart». Zu Unrecht ist es heute hinter Mendelssohns Oratorium «Elias» etwas in den Hintergrund getreten.
Hier zu hören (ca. 13 Minuten):
No. 12 Rezitativ und Arie: "Saulus aber... (2’20)
No. 13 Rezitativ und Arioso: "Und zog mit einer... (2’51)
No. 14 Rezitativ mit Chor: "Und als er auf dem Weg... (2’40)
No. 15 Chor: "Mache dich auf! Werde Licht!" (4’54)
Hörbegleiter:
Kommentar:
Text:
12. Rezititativ und Arie Erzähler (Tenor):
In drastischen Worten wird das Wirken des Christenverfolgers Paulus beschrieben, sozusagen als Negativ-Folie für die kommende Bekehrung.
Die Arie des Paulus zitiert Fluch-Psalmen und gebraucht sie als Legitimierung für sein Handeln. Das Böse wird auf Gott abgeschoben. Das gleiche h-moll Motiv wird sowohl für «Vertilge sie» wie auch für «Herr Zebaoth» verwendet. Allegro molto begleitet ein Sechzehntel-Furor der Streicher den Eifernden. Sfozato-Paukenakzente unterstützen den Charakter einer barocken Rache-Arie.
13. Rezititativ und Arioso Erzählerin (Alt):
Das bedrohliche Rezitativ verwandelt sich in ein Arioso, das vertrauensvolles Beten und Glauben an die Nähe Gottes musikalisch ausdrückt.
Arioso (Andantino):
Dieses Arioso ist von einer liedhaft einfachen Melodie am Anfang und am Ende geprägt.
Im Mittelteil verwandelt sich die Melodie in ein strenges Rezitativ, das zu einer mahnenden Predigt gegen alle Stolzen wird.
14. Rezitativ Erzähler (Tenor):
Christen nannten sich ursprünglich «Die des Weges sind» (Apg 9,2). Pauli Bekehrung ereignet sich «auf dem Wege». Wie oft bei Bach hört man auch hier im Rezitativ, was geschieht: ein dreimaliges Fallen der Sängerstimme nach unten bei «vom Himmel», «die Erde», «eine Stimme».
Dramatisch steigert sich das Orchester, bis im Piano hell der Frauenchor einsetzt: «Saul, Saul…». Die Frauenstimmen werden von sanft repetierten Akkorden im Blech und hellen Holzbläsern ätherisch begleitet und können in den Hörenden eine Art «Sinn für das Unendliche» (wie Mendelssohn Zeitgenosse Schleiermacher Religiöses benannte) erwecken.
Zum prophetischen Schema einer Berufungsgeschichte gehört nun die kritische Nachfrage des Paulus.
In gleichem musikalisch hellen Licht erklingt die Beglaubigung durch die Frauenstimmen.
Die Szene geht als Rezitativ weiter, von einem zitternden Tremolo der Streicher begleitet, und führt zum schlichten Auftrag, sich zu erheben und in die Stadt zu gehen, (musikalisch mit heller Aufwärtsbewegung der hohen Bläser unterstrichen!). Mehr an Auftrag gibt es aber noch nicht.
15. Chor:
Ein grosses Orchester Crescendo, das dem Bass entspringt und das Aufstehen des Paulus sowie das Auferstehen zum Glauben musikalisch darstellt, eröffnet einen Oratorienchor. Wie bei Händel und Bach begleitet er das erzählte Geschehen mit zusätzlicher Besinnung. Er verbindet die zukünftige Rolle des Völker-Apostels Paulus mit der Hoffnung des Tritojesaias genannten Propheten (vgl. Jes 60). Gegenüber monarchischen und priesterlichen Kreisen verkündete er nach dem babylonischen Exil ein Judentum, das für Nicht-Juden und Ausländer offen war und das «Licht» nicht nur für das Judentum, sondern für alle Völker verheisst.
Zuerst männliche Vorsänger, dann Vorsängerinnen eröffnen den Chor mit dem eindringlichen Ruf: «Mache dich auf. werde Licht», der den ganzen ersten Teil des Chors dominiert und lichtvoll endet.
Der Mittelteil kommt dann als Fuge daher: «Denn siehe Finsternis…». Finsternis ist überall, in allen polyphon nach- und ineinander verschlungenen Stimmen der Fuge. Markante Bläserrufe mahnen das «Werde Licht» gegen die Finsternis an, bis sich der Chor immer mehr dem Licht wieder zuwendet. Ganz am Schluss steht nach allem der rein orchestrale Bläserruf, der das «Mach dich auf» ohne Worte nochmals ertönen lässt.
12. Rezititativ und Arie Erzähler (Tenor):
Saulus aber zerstörte die Gemeinde und wütete mit Drohen und Morden wider die Jünger und lästerte sie und sprach:
Paulus: Vertilge sie, Herr Zebaoth, wie Stoppeln vor dem Feuer! Sie wollen nicht erkennen, dass du mit deinem Namen heißest Herr allein, der Höchste in aller Welt. Lass deinen Zorn sie treffen, verstummen müssen sie!
13. Rezititativ und Arioso Erzählerin (Alt):
Und zog mit einer Schar gen Damaskus und hatte Macht und Befehl von den Hohepriestern, Männer und Weiber gebunden zu führen gen Jerusalem.
Arioso (Andantino):
Doch der Herr vergisst die seinen nicht, er gedenkt seiner Kinder. Fallt vor ihm nieder, ihr Stolzen, denn der Herr ist nahe!
14. Rezitativ Erzähler (Tenor):
Und als er auf dem Wege war und nahe zu Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel, und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm:
Stimme Jesu (Chor SSA):
Saul, was verfolgst du mich?
Erzähler (T): Er aber sprach: "Herr, wer bist du?" Der Herr sprach zu ihm:
Stimme Jesu (Chor SSA): Ich bin Jesus von Nazareth, den du verfolgst!
Erzähler(T): Und er sprach mit Zittern und Zagen: "Herr, was willst du, das ich tun soll?" Der Herr sprach zu ihm:
Stimme Jesu (Chor SSA): Stehe auf und gehe in die Stadt, da wird man dir sagen, was du tun sollst.
15. Chor:
Mache dich auf, werde Licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn gehet auf über dir.
Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker. Aber über dir gehet auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheinet über dir.
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