John Dunstaple: Isorhythmische Motette “Veni sancte spiritus / Veni creator spiritus” (um 1420)
John Dunstaple (auch Dunstable):
geboren um 1390 in Dunstable (?), England
gestorben 24. Dez. 1453 und begraben in St. Stephan, Walbrook, London
Komposition:
zwischen 1415-35, wahrscheinlich um 1420 (nach Margaret Bent)
CD Aufnahmen:
The Hillard-Ensemble 1982
The Binchois Consort 2017
The Gesualdo Six 2018
Gothic Voices 2021
Vom englischen Komponisten und Astronomen John Dunstaple (auch Dunstable geschrieben) wissen wir nur wenig. Orte seines Wirkens waren der Hof des Herzogs von Bedford, mit dem er anfangs 15. Jahrhundert durch Frankreich reiste, und der Hof von dessen Bruder, dem Herzog von Gloucester. Was hingegen erhalten ist, ist seine Grabplatte mit der ursprünglich lateinischen Inschrift:
"Hier ist er, eingeschlossen in diesem Grab; er, der den Himmel in seiner Brust umschlossen hat, John Dunstable, der Verbündete der Sterne. Durch seinen Rat wusste Urania dem Himmel Geheimnisse zu entlocken. Dieser Mann war dein Ruhm, dein Licht, dein Anführer, deine Musik. Im Jahr 1453, am Tag vor Christus' Geburt, ging er hinüber zu den Sternen. Mögen die Bürger des Himmels ihn als ihresgleichen empfangen."*
Die damals in Europa weit verbreiteten Messen und Motetten von John Dunstaple (Manuskripte von Veni sancte spiritus / veni creator spiritus finden sich beispielsweise in Modena, Trient, Aosta und München) sind ein erstes Zeugnis des Übergangs von mittelalterlicher Musik zur Renaissance. Beeinflusst von der englischen Volksmusik werden reibende Dissonanzen auch in der liturgischen Musik zunehmend in Terz- und Sext-Klänge harmonisch aufgelöst, was eine konsonante Harmonik begründete, die bis in die heutige populäre Musik hinein dominierend ist.
In der isorhythmischen Motette «Veni Sancte Spiritus / Veni Creator Spiritus» für vier Stimmen überlappen sich rhythmische, melodische sowie textliche Strukturen und werden miteinander kombiniert. Das ergibt eine wohlklingende Euphonie, die Details wie Texte, Imitationen oder rhythmische Figuren auf einer höheren Ebene klanglich vereinheitlichen und das Gefühl einer neuen Weite ermöglichen. Worte und Texte werden angesichts von etwas Höherem bedeutungs-frei, und der musikalischer Klang an sich kann den bewusst Zuhörenden dazu dienen, sich frei derjenigen Wirklichkeit zu öffnen, die die Tradition mit den Begriffen «Sancte Spiritus» und «Creator Spiritus» anruft: Heiliger Geist und Schöpfergeist.
* Clauditur hoc tumulo, qui caelum pecore clausit, / Dunstable Joannes, astrorum conscius. Illo / Iudice novit Urania abscondita pandere caeli.
Hic vir erat tua laus, tua lux, tibi, musica, princeps, / Quique tuas dulces per mundum sparserat artes. / Anno Mi. C. quater semel L tria iungito, Christi
Pridie natalem, sidus transmigrat ad astra. / Suscipant proprium civem caeli sibi cives.
Hier zu hören!
Hörbegleiter:
Weil es damals noch keine Partituren gab, mussten sich die Sänger am gemeinsamen Rhythmus orientieren, um gemeinsam koordiniert zu singen.
Die Motette beginnt zweistimmig (mit den Stimmen superius und motettus) und kombiniert anschliessend drei unterschiedliche Hymnen. Zuerst werden die beiden Hymnen mit dem gleichen Anfang «Veni Sancte Spiritus» angestimmt. Schon kurz danach singt der Contratenor den dritten Hymnus «Veni Creator Spiritus», und die Ohren der Zuhörenden können sich meist nur noch an der Oberstimme oder an den gemeinsamen harmonischen Klangveränderungen orientieren. Sich auf den Klang zu konzentrieren, die Texte auszublenden, macht durchaus Sinn, öffnen diese Klänge doch grosse Räume und wollen uns so von den Details zum Grossen-Ganzen führen.
Für mehrmaliges Hören hilft ein Wort-Raster dieser Motette (siehe unten), deren Worte Stimme für Stimme mitverfolgt werden können. Übersetzungen dieser schönen alten Texte finden sich bei Wikipedia.
Die drei Abschnitte dieser Motette folgen sich im Grössenverhältnis 3:2:1, das heisst, sie konzentrieren sich auf den dritten, den Schlussteil und das Ende der drei Hymnen. Die vierte Stimme, die nur wenige, aber zentrale Worte benutzt (Mentes tuorum visita. Imple superna gratia! / Besuche deiner Menschen Geist und erfülle ihn mit höchster Gnade ) beendet jeden Teil mit dem Wort gratia, Gnade.
Hinweis für Musikinteressierte:
Webesite: Unbekannte Violinkonzerte