Franz Liszt: Pater noster (Nr. 7 aus dem Oratorium «Christus» S 3), eine Adaption des deutschen «Vater unser» S 29

Franz Liszt 
geboren 22. Oktober 1811 in Raiding, Kaisertum Österreich 
gestorben  31. Juli 1886 in Bayreuth

Komposition:
Das "Vater unser" entstand um 1860 und wurde zwischen 1862 - 1865 in Rom als "Pater noster" ins Oratorium Christus integriert.

Uraufführung:
  
Das Oratorium Christus wurde 1872 publiziert und am 29. Mai 1873 in der protestantischen Kirche in Weimar uraufgeführt.

 

Franz Liszts sakrale Vokalkompositionen stehen völlig im Schatten des charmanten Starpianisten und dessen  virtuoser Klaviermusik sowie seiner Orchestermusik (2 Sinfonien – Faust und Dante - und 12 symphonischer Dichtungen), die er als erfolgreicher Hofkapellmeister in Weimar schrieb. Unbekannt ist meist auch, dass Franz Liszt von seiner familiären Herkunft her ein sich mit seinem Glauben auseinandersetzender Katholik war. Er lebte dabei in der Spannung von revolutionärem Freiheitsdenken und der Unterstützung der politischen und geistigen Restauration angesichts der Gräuel der französischen Revolution. So las Liszt zum Beispiel schon in seinen Pariser Jahren mit Begeisterung das Buch Paroles d’un croyant des theologisch sehr eigenständigen Abbé Félicité de Lamennais. Dieses Buch beeinflusste Liszt, schon 1834 ein Essay über die «zukünftige Kirchenmusik» zu schreiben, wo es nicht um im engen Sinne kirchliche Musik, sondern um eine «grande mission religieuse et sociale» des Künstlers ging. In Weimar setzte sich Liszt theologisch mit der Leben-Jesu-Forschung eines David Friedrich Strauss auseinander.

In seinen sakralen Werken versuchte er die Neubelebung des gregorianischen Gesangs und der Polyphonie eines Palestrinas mit der damals modernen romantischen Musik zu verbinden. All seine sakralen Kompositionen kulminierten schliesslich in seinem fast dreistündigen Oratorium Christus (S 3), das Liszt hauptsachlich zwischen 1862 und 1866 in Rom, im römischen Kloster Madonna del Rosario auf dem Monte Mario, komponierte. Dabei verwendete er auch Kompositionen aus früheren Zeiten, so dass das Oratorium schliesslich überaus polystilistisch daherkommt.

Das «Vater unser» wird als ureigenes Gebet Jesu von Nazareth sowohl im Matthäus-Evangelium (Mt 6,9 –13 innerhalb der Bergpredigt) wie auch bei Lukas (Lk 11,2–4) überliefert, allerdings auf griechisch und nicht auf aramäisch, der Sprache Jesu selbst. Es enthält zentrale Einsichten Jesu, wonach der Mensch mit dem absolut transzendenten Gott gleichsam wie mit einem Vater in Kommunikation treten könne, dabei aber immer dessen unaussprechbaren Namen heiligen solle («geheiligt werde dein Name»).

Liszt hat das «Vater unser» mehrmals vertont, in Weimar sogar auch auf deutschen Text. Diese Weimarer Fassung (Vater unser S 29) hat er im Oratorium Christus übernommen und auf die damalige katholische liturgische Sprache Latein adaptiert. Damit bekam das Christus-Oratorium zusammen mit den Vertonungen von Seligpreisung, der Wunderrettungen, der Nachfolge der Jünger und der Wanderung nach Jerusalem einen Mittelteil. Jesu Bedeutung liess sich nicht mehr auf Weihnachten und das Passionsgeschehen allein reduzieren, wie oft in der bisherigen barocken Musiktradition. Das Leben und die Philosophie (Botschaft) Jesu werden mit thematisiert, damit steht Liszts Oratorium Christus in manchem heutiger christlicher Theologie konzeptionell nahe. Und insofern hat er auch eine der erstaunlich wenigen Vertonungen des «Vater unsers» in der Musikgeschichte gewagt.  

Hier zu hören (ca.8 Min.)!


Hörbegleiter:

Die Tenöre stimmen als Vorsänger eine schlichte aufsteigende Melodie in As-Dur an, wobei jeder Silbe des «Pater noster» ein Ton entspricht. Der sechsstimmige Chor übernimmt die Melodie der Vorsänger, allerdings wird die altkirchlich wirkende Stimmung romantisch harmonisiert und vom Orgelklang zurückhaltend begleitet.  

Dolce und sempre legato beginnt das «sanctificetur» auf den gleichen Tönen as – b – c, variiert aber dann die Melodieführung und Harmonie und strebt auf den Moment zu, wo der ganze Chor unisono das für Gott stehende «nomen» majestätisch hervorhebt. Ausklingend lässt der Chor erahnen, wie sich der  unaussprechliche Namen uns zuwendet.

In C-Dur bitten die Vorsängerinnen (jetzt die Altstimmen) um das Kommen des Reiches. Der Chor stimmt ein, seine Melodie steigt leicht an, bleibt aber ruhig und gleichmässig. Mehrmals wird die Sehnsucht des «adveniat» variiert, die Chorklänge bleiben auf Hoffnung, Zuversicht und auf einen neuen Zustand der Welt («regnum tuum») ausgerichtet.

Mollgetrübt setzt das «Fiat voluntas» kanonisch in allen Stimmen ein, und je weiter die Gebetsbitte ausgesungen wird, desto mehr wird den bittenden Chorstimmen klar, dass das Geschehen auf Erden «Deinem Willen» nicht entspricht.

Es bleibt der Blick nach oben «in caelo». Liszt gelingt eine «himmlische» Melodiewendung auf «caelo» in den Oberstimmen, die zweimal wiederholt wird, dann aber kehrt der Chor immer mehr in irdische Einfachheit zurück. Homophone und imitatorische Elemente wechseln, Erde und Himmel werden durch den Willen Gottes verbunden, musikalisch symbolisiert durch parallele Wiederholungen des gleichen Chorsatzes.

Als eine Art falsche Reprise kommt das Pater-noster-Thema zurück, jetzt auf die alltäglichen Worte «panem nostrum» und in G-Dur. Die abwärtsführende Melodie beim «da nobis hodie» drückt die Demut der Bitte aus.

Die tägliche Nahrungssuche führt direkt zu einer Molltrübung der Modulationen, denn es geht um das Wahrnehmen von Schuld. Ein Crescendo führt zur Bitte um Vergebung und zur Einsicht, selbst zu vergeben.

A tempo und dynamisch steigert sich der Chor zum grossen Befreiungsschrei «libera nos a malo».


Die Rückkehr zur Tonika As-Dur führt im Chor zu einem fugierten Schluss-Amen, wie immer diskret von der Orgel begleitet, und zu einer hoffenden und glaubenden Bekräftigung des Gebets.

Pater noster, 
qui es in caelis,




sanctificetur nomen tuum.





Adveniat regnum tuum.





Fiat voluntas tua,



sicut in caelo, et in terra.






Panem nostrum quotidianum da nobis hodie.

Et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris.

Et ne nos inducas in tentationem: sed libera nos a malo.

Amen.

Vater unser
im Himmel 




Geheiligt werde dein Name.





Dein Reich komme.





Dein Wille geschehe, 


wie im Himmel, so auf Erden.






Unser tägliches
Brot gib uns
heute.

Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir
vergeben unsern
Schuldigern.

Und führe uns
nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns
von dem Bösen.

Amen.

Hinweis für Musikinteressierte

Website: Unbekannte Violinkonzerte