Henriette Bosmans: Lead, kindly Light (1945) für Gesang und Klavier bzw. Orchester (1945)

Henriette Bosmans
geboren 6. Dez. 1895 in Amsterdam
gestorben 2. Juli 1952 in Amsterdam

Text:
John Henry Newman

Widmung: 
Jo Vincent

Uraufführung:
3. November 1945 durch Jo Vincent, Sopran, und das Concertgebouw Orchester unter der Leitung von Adrian Boult 

 

 


Als John Henry Newman, der spätere katholische Kardinal, als junger Priester 1833 auf einer Reise in Sizilien krank wurde und ungeduldig auf seine Heimfahrt nach England warten musste, schrieb er sein berühmt gewordenes Gedicht: Lead, kindly Ligtht. Populär als englisches Kirchenlied wurde das Gedicht dank der 1868 erfolgten Vertonung von John Bacchus Dykes. Newman: «Endlich kam ich in einem orangefarbenen Boot nach Marseille. Damals schrieb ich die Zeilen „Lead, kindly light“, die seitdem sehr bekannt geworden sind. Wir lagen eine ganze Woche lang in der Straße von Bonifacio in einer Flaute. Während der gesamten Überfahrt schrieb ich Gedichte.» Newman

Das Gedicht bezieht sich theologisch auf den Bericht des biblischen Buches Exodus 13:21-22: «Adonai zog vor ihnen her, bei Tag in einer Wolkensäule, um ihnen den Weg zu zeigen, bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten. So konnten sie Tag und Nacht unterwegs sein. Die Wolkensäule wich bei Tag nicht von der Spitze des Volkes und die Feuersäule nicht bei Nacht.»

Die niederländische Komponistin Henriette Bosmans musste als Halbjüdin (ihr Vater war katholisch, ihre Mutter Jüdin) in der Zeit der Besatzung durch die Nazi auf Komponieren und Auftreten verzichten. Nur in kleinem Kreis konnte sie als Pianistin und Künstlerin wirken und ihren Lebensunterhalt verdienen. In einer mutigen Initiative und dank ihrer Kontakte zum Dirigenten Willem Mengelberg bewirkte sie, dass ihre bereits verhaftete Mutter wieder freigelassen wurde und vor der Deportation in eine Konzentrationslager bewahrt wurde.

Nach dieser dunklen schwierigen Zeit begann Henriette Bosmans gegen Ende des Zweiten  Weltkrieges wieder zu komponieren und vertonte unter anderem auch das Gedicht "Lead, kindly Light" von John Henry Newman neu als Kunstlied. Zuerst für Sopran und Klavier, später dann auch für Sopran und Orchester.  Die Uraufführung fand nach Kriegsende am 3. November 1945 statt, durch Jo Vincent, Sopran, und das Concertgebouw Orchester unter der Leitung von Adrian Boult. Das Gedicht bezeugt den Glauben an die immer wieder erhellende Präsenz geheimnisvoller Transzendenz (die «Feuersäule» von Ex 13!)) sowohl im Geschichtsverlauf wie im persönlichen Leben. Wobei dem Glaubenden auch in dunklen Zeiten die hoffende Zuversicht auf den nächsten Schritt genug sein soll.

Hier zu hören! (ca. 5 1/2 Min.)
Klavierversion
Orchesterversion

 

Hörbegleiter:

Die zweimalige Abwärtsbewegung in der Unterstimme der Einleitung sowie das zögernde Abbrechen drücken Unsicherheit und Einsamkeit aus.

Bei der dritten helleren Wiederholung setzt die Singstimme mit einer einfachen Melodie ein. Erste Hoffnung auf Licht und Orientierung macht sich in der anschliessenden Aufwärtsbewegung bemerkbar, wenn der Sopran  «Lead Thou me on» singt. Nach der Beschreibung der Dunkelheit wird diese aufwärtsgerichtete Bitte nochmals leidenschaftlich wiederholt.

Die Bitte um Führung aber bescheidet sich, ein Schritt genügt. Die Melodie neigt sich einsichtsvoll nach unten.  

Wieder startet die Abwärtsbewegung des Anfangs und wird zur kontinuierlichen Begleitung. Der Rückblick in die Vergangenheit führt zur intensivierten Bitte um Licht und Führung: Lead Thou me on!

Das neue Motiv zu «Pride ruled my will» erinnert an den selbstgenügsamen Stolz, der die schützende Präsenz des Lichts der «Feuersäule» (Ex 30) in den vergangenen Jahren vergessen liess.

Das Bittgebet verwandelt sich langsam in ein adäquateres Gebet, nämlich in die Grundhaltung von Dank und Zuversicht für die – wie in der Musik – ständig präsente Lebensbegleitung.

So kann sich der ursprünglich verängstige, um Hilfe bittende Mensch wieder vertrauensvoll und freudig dem Jetzt zuwenden: «The night is gone». Die Musik kann sich ausbreiten und wird zur reinen Präsenz.

Ein neuer Morgen bringt dem jetzt zuversichtlichen Menschen das Wiedersehen mit seinen Liebsten, die ihm zu Engeln werden, zu Repräsentaten Gottes im Hier und Jetzt.

Die Utopie: Gütige Menschen werden einander zum orientierenden Licht.







Lead, Kindly Light, amidst th'encircling gloom, 
Lead Thou me on!
The night is dark, and I am far from home,
Lead Thou me on!







Keep Thou my feet; I do not ask to see
The distant scene; one step enough for me.

I was not ever thus,
nor prayed that Thou
Shouldst lead me on;
I loved to choose and see my path; but now 
Lead Thou me on!


I loved the garish day, and, spite of fears, 
Pride ruled my will.
Remember not past years!



So long Thy power hath blest me, sure it still
Will lead me on. 
O'er moor and fen, o'er crag and torrent, till 
The night is gone,









And with the morn those angel faces smile,
Which I have loved long since, and lost awhile!



Lead, Kindly Light,
Lead Thou me on!
Lead Thou me on!
Lead Thou me on!

 

 







Führe mich, gütiges Licht, durch die mich umgebende Dunkelheit, 
Führe mich weiter!
Die Nacht ist dunkel, und ich bin weit von zu Hause, 
Führe mich weiter! 







Halte meine Füße; ich bitte nicht darum, 
Die ferne Szene zu sehen; ein Schritt genügt mir.

Ich war nicht immer so
und habe nicht gebetet, dass Du Mich weiterführen mögest;
Ich liebte es, meinen Weg zu wählen und zu sehen; aber jetzt 
Führe mich weiter! 


Ich liebte den grellen Tag, und trotz meiner Ängste 
beherrschte Stolz meinen Willen. Erinnere dich nicht an vergangene Jahre!


So lange hat deine Kraft mich gesegnet, sicher wird sie mich noch immer weiterführen. 
Über Moor und Sumpf, über Felsen und Strom, bis 
die Nacht vorbei ist,









Und mit dem Morgen lächeln jene Engelsgesichter, 
die ich seit langem liebe und eine Weile verloren habe!



Führe mich, gütiges Licht,
Führe mich weiter!
Führe mich weiter!
Führe mich weiter!

 

Hinweis für Musikinteressierte

Website: Unbekannte Violinkonzerte